Moin moin Oder
Ostfriesland ist eine Reise wert
"Was machen Ostfriesen wenn der Strom ausfällt?" "Sie gehen hinter den Deich und holen einen Kilo Watt".
Im Sommer fahre ich oft nach Ostfriesland. Ostfriesland ist ja bekannt für seine speziellen Ostfriesenwitze und für seinen leckeren Tee. Aber Ostfriesland ist noch mehr: Ostfriesland ist ein sehr schöner Teil Deutschlands, in dem Erholung, Tourismus und Naturerleben wunderbar harmonieren. In Ostfriesland heißen die Menschen mit Vornamen Enno, Sjutge oder Uwe und sie sprechen neben einem perfektem Hochdeutsch einen Dialekt, den ich oft nicht verstehe, obwohl ich "Fremdsprachen" liebe.
Fahre ich nach Ostfriesland, fahre ich immer nach Neuharlingersiel, ein fast malerischer Ort an der Nordseeküste, auch Venedig des Nordens genannt, mit einem kleinen Hafen, an dem kleine Fischkutter wie die Beluga oder die Möwe liegen.
Es geht los
Das Auto ist vollgepackt und wir fahren endlich los. Schon auf dem Weg von Ostwestfalen nach Ostfriesland komme ich langsam in Urlaubsstimmung. Im Auto bin ich Beifahrerin und brauche mich um nichts mehr zu kümmern. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich früher so gefühlt habe, wenn meine Mutter mich im Kinderwagen spazieren fuhr (Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern). Ich werde gefahren.
Endlich ausruhen, nachdem ich Tage zuvor im Schweiße meines Angesichtes unser Haus in einen Zustand gebracht habe, dass die Nachbarin all meine Grünpflanzen gießen kann ohne einen Schreck zu bekommen oder gar zu stolpern :- ))). Der Kühlschrank musste geleert werden, die Küche muss blitzen, damit während unserer Abwesenheit keine Pilzkulturen entstehen oder sich die Fruchtfliegen ausbreiten.
Ich wundere mich jedes Mal, dass zwei Menschen so viele Sachen mit in Urlaub nehmen können z.B. den Drachen, die Gummistiefel oder den sog. Ostfriesennerz, der heute nicht mehr gelb ist, sondern eine beliebige Farbe hat.
Wir wollen ja schließlich nicht auswandern sondern nur nach Ostfriesland.
Unterwegs nach Ostfriesland
Ungefähr nach drei Stunden Fahrt fahren wir durch Jever an der Brauerei vorbei, und spätestens dann weiß ich, es dauert nicht mehr lange und ich werde die Nordsee sehen, ihre salzige, etwas faulige Luft riechen, das Brausen des Windes an meinen Ohren hören und ihn wieder sehen, den kleinen Hafen von Neuharlingersiel mit der Statue der beiden Neuharlingersielertypen, die sich über die Hafenmauer lehnen. Während der Fahrt hören wir immer Radio Niedersachsen. Auch das gehört zu diesem Urlaub.
Wir fahren weiter, vorbei an roten Backsteinhäusern mit weißen Fensterrahmen, mit schönen bunten Vorgärten voller Blumen (in schöner Umgebung) umgeben von Zwergen und kleinen Windmühlen. Hier sieht es gar nicht kitschig aus sondern es passt einfach zu Ostfriesland.
Auf dem Weg nach Neuharlingersiel sehen wir auch die großen Windräder zum Stromerzeugen. Sie wirken etwas bizarr in der Landschaft aber ich habe sie längst akzeptiert.
Zwischendurch denke ich "Poh, was stinkt das hier", und fordere den Mann an meiner Seite protestierend auf das Fenster zu schließen. Ach ja, kein Wunder, denn wir sind ja inzwischen mitten auf dem Land mit großen Viehweiden und schwarz-bunten Kühen. Dort riecht es natürlich nach Landwirtschaft.
Nach ungefähr vier Stunden Fahrt erreichen wir Neuharlingersiel, das Nordseeheilbad.
Links am Orteingang geht es zum Campingplatz, dann kommt der Lebensmittelladen Lübken und wir biegen rechts ab zu unserem Ferienhaus. Es ist fast alles wie immer und ich freue mich, dass wir bald am Ziel sein werden) Im Ferienhaus ist alles prima und wir haben reichlich Platz all unsere Sachen in diesem schönen kleinen Häuschen auszubreiten.
Lange bleiben wir dort nicht, denn auch am ersten Tag müssen wir wenigsten einmal ans Meer gehen. Wird Ebbe sein oder Flut? Wie wird das Meer aussehen? Immer dieselben Fragen.
Am Meer spazieren gehen und Fahrrad fahren.
Urlaub in Neuharlingersiel bedeutet für mich wieder und wieder am Meer spazieren gehen und immer wieder über das Meer staunen. Wie sieht es aus bei bewölktem Himmel? Wie sieht es aus bei Sonnenschein? Bei Sonnenschein sieht es einfach unschlagbar wunderbar aus in seinem schönen Blau. Man könnte den Eindruck bekommen gewinnen, dass in Ostfriesland die Sonne heller scheint als in Ostwestfalen. Wie fühlt es sich an bei Wind am Strand zu sein? Wie wenn sich kein Lüftchen regt? Wie ist es am Abend, wenn es den ganzen Tag geregnet hat? Wie wunderbar sieht es aus, wenn die Sonne untergeht am Meer.
In diesem Sommer bin ich oft Fahrrad gefahren, mal mit Rückenwind ganz schnell, mal mit Gegenwind bei Regen mit tränenden Augen und schniefender Nase. Ich musste beim Fahren oft an Jan Ullrich denken.
Gern besuchen wir auch die kleinen Städte und Orte in der Umgebung, Esens, Dornum oder Wittmund. Nicht zu vergessen Carolinensiel.
Wer in Neuharlingersiel ist, kann bequem mit der Fähre eine Tagestour nach Spiekeroog machen.
Immer wenn wir wieder nach Hause fahren, denke ich, ich hätte mir ein paar Massagen gönnen sollen. Obwohl es ein anerkanntes Heilbad ist, kann man hier eine Massage für nur EURO 10 bekommen. Das ist ein echter Schnäppchenpreis. Wer nicht im Meer baden möchte, kann in einem großzügigen Meerwasser-Thermalbad baden. Und wer Geburtstag hat, kann umsonst hinein.
Museen in Neuharlingersiel
In Neuharlingersiel hat ein Museum nur einen Raum, nicht mehrere Etagen. Weniger ist in diesem Fall eben mehr (nicht meer J ). Seitdem ich das kleine Buddelschiffmuseum in Neuharlingersiel besucht habe, frage ich mich wie die Schiffe in die Buddel kommen. Ich glaube diese Handwerkskunst beherrschen nur ganz wenige Menschen. Der Mann, der mir das Eintrittsgeld abgenommen hat, hat mir keine zufriedenstellende Antwort darauf gegeben wie eben genau die Schiffsmodelle wohl in die Flaschen gekommen sind. Wahrscheinlich, weil er es selbst nicht weiß.
In dem kleinen Ausstellungsraum über die Arbeit des Seenotrettungsdienstes in Neurharlingersiel am Deich erfahre ich, dass auch heute noch Menschen immer wieder in Seenot geraten und auch, dass bei Rettungsaktionen Menschen, die helfen wollen, sterben. Ich sehe alte Funkgeräte und erfahre vieles, z.B. dass früher in Seenot geratene Menschen, die irgendwo an Land getrieben wurden, von den Menschen an den Küsten ausgeraubt wurden. Wie gemein! Aber man war wohl der Meinung, dass das in Ordnung ist.
Die Zeit bleibt nicht stehen
Einmal während des Sommers feiert man in Neuharlingersiel eine tolle Kutterregatta. Alle Kutter werden bunt geschmückt, der schönste Kutter bekommt einen Preis und die Urlauberinnen und Urlauber werden eingeladen, gegen einen kleinen Eintrittspreis einmal mit dem toll geschmückten Kutter eine kleine Tour, nein eine Wettfahrt, zu machen.
Da ist richtig was los. Doch was ist denn dieses Jahr auf der Beluga los? Der Kutterbetreiber hat wohl Probleme, genügend Gäste auf seinen Kutter zu bekommen, und er ruft laut "Hier noch Plätze frei oder so ähnlich". Ich wundere mich jedoch nur einen kurzen Moment, denn als ich den jungen Kutterbetreiber sehe, bekomme ich eine Ahnung, warum einige Menschen etwas zögern, auf den Kutter zu kommen. Er ist schwarz gekleidet im "gothic style" und ein paar Kumpel von ihm, die an diesem Festtag ebenfalls auf dem Kutter sind, ebenso. Auch das ist eben Ostfriesland, die jungen Leuten leben hier keineswegs hinterm Mond, sondern machen offensichtlich alle modernen Strömungen der Jugend mit.
Abends ist auf der Beluga im Neuharlingersieler Hafen ein laute Party, eine ungewohnte Szene für den sonst so ruhigen Neuharlingersieler Hafen. Am anderen Morgen ist ein Turm aus Haake Beck Bierkästen auf der Beluga zu sehen. Es muss ein feucht-fröhliche Party gewesen sein.
Auf dem Kutterregattafest erfahre ich, dass die Kutter meistens als Familienbetriebe geführt werden. Von den Fischfängen leben durchschnittlich ca. 10 Personen. Diesen Stand zu halten, ist schwierig, zumal die Subventionen für die Fischerei abnehmen. Die Kutterfahrer und ihre Familien haben also Existenzsorgen.
Ja, Neuharlingersiel ist für mich eine Reise wert, denn dort bin ich Mensch, dort kann ich sein.
Bericht von Hildegard aus dem Tivoli.